Samstag, 2. Januar 2016

Kommentierung der Partie Runde 4, Spiesberger 0-1 Charaus, 24. Donau Open Aschach

Abgesehen von Runde 2 gegen Fuchs Michael (2205) waren die Leistungen von Florian Charaus in den verbliebenen Runden nahezu fehlerlos. Aber selbst in Runde 2 schaffte Florian ein paar Teilerfolge (nicht einschlafen, nicht auf das Brett reihern, etc.). Es gab zwar auch ein paar pazifistische Remisen im Mosti-Clan, die ausgefochtenen Partien spielte Florian sehr, sehr genau und die erspielten Ergebnisse können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden - belohnt mit nun 2022 ELO, BRAVO!!! Eine wirkliche Partie des Monats ist nicht offensichtlich, dafür haben die Opponenten leider zu wenig beigetragen. Nichts desto trotz muss zumindest eine Partie von Florian vorgetragen werden – sein nervenaufreibender Schwarz-Sieg gegen Gerhard Spiesberger (2057) aus Runde 4 um zu demonstrieren, dass man selbst mit einem Mehrturm noch um den Partieausgang hart kämpfen muss.
Abgespielt wird [B18] Caro-Kann in der Hauptvariante mit 6.Nf3 Nd7. Diese Eröffnung findet sich 1,489 mal in den Datenbanken der internationalen Meisterpartien mit guter Bilanz für Schwarz (W=25.7, R=48.2,S=26.1). Florian Charaus, ein Kenner der Theorie, schafft es stets die für Schwarz vielversprechendsten Linien zu finden. 
Nach dem 10. Weißzug (c3) mit 17 abgespielten Partien ist die Bilanz schon klar auf schwarzer Seite (W=17.6, R=41.2, S=41.2), wenn auch der Computer den weißen Vorteil immer noch als konserviert ansieht. Florians Antwort 10..Qc7 wurde auch zweimalig erprobt – Alternativen wären 10…0-0, 10…a6 oder 10…Nb6. Schwarz steht zu diesem Zeitpunkt solide, Weiß kann am ehesten den Angriff mit Nh4 fortsetzen, um die Bauernstellung bei geöffneter h-Linie zu schwächen. Dieser Zug wird jedoch noch etwas verzögert und der bekannte Pfad der Theorie mit 11.a4 verlassen. Nach 13.Nxg6 hxg6 ist die h-Linie von Florian aufgebrochen – von einem massiven weißen Königsangriff ist jedoch noch nichts zu sehen. 
Das Spiel verlagert sich vielmehr in weiterer Folge auf den Damenflügel. Nach 18.Re2? findet Florian das starke 18…a5! (vgl. Diagramm rechts vor weißem Zug 19) Ein vermeintliches Bauernopfer, das jedoch den kompletten weißen Druck aus der anrollenden Bauern-Phalanx nimmt (zusammen mit nachfolgendem 19…c5). Die erwachsenden weißen Doppelbauern auf der a-Linie sind derzeit noch ohne Perspektive und sind im weiteren Partieverlauf immer einfache Ziele. Nach 18…a5 steht Schwarz erstmalig marginal besser. Im weiteren Partieverlauf ist die Stellung stets nahezu ausgeglichen. Eine ernste weiße Drohung erwächst mit 25.Rb1, womit der letzte Verteidigungsbauer am schwarzen Damenflügel (b7) unter Beschuss genommen wird und auch mit 16.Rb5 Druck auf das Zentrum ausgeübt werden könnte. Stattdessen entscheidet sich Spiesberger mit 16.Qa3 den ohnehin vergifteten weißen Bauern auf a4 zu besichern. Ein Abschlagen von Schwarz wäre ohnehin zu widerlegen gewesen (26. Rb5 Qxa4 27.c4! Bd4 28.Nd6 und schwarzer Figurenverlust ist unvermeidbar). 
Der Zug 28.Rb5 erfolgt viel zu spät – nun hat Florian mit dem notwendigen 28…b6 die Möglichkeit, sämtliche Probleme am Damenflügel aufzulösen. Nach 31…Nd5 ist der Turm von Spiesberger vom Springer bedroht (vgl. Diagramm links nach 32. Weiß-Zug 32.Qc4), es gibt jedoch viele Möglichkeiten, die Situation gut für Weiß aufzulösen, z.B. 32.Rb5, 32.Rb4 oder die Aufgabe der Turmlinie mit Abtausch 32.Rxb8. Stattdessen erfolgt 32.Qc4? was einen kompletten Turm plus Tempoverluste bedeutet. Beide Spieler kommen in massive Zeitnot, nach 35.Qh3 erwächst in Kombination mit dem Springer eine Angriffsdrohung auf die schwarze Königsstellung. Florian spielt zu diesem Zeitpunkt nur noch mit den 30sec Inkremente auf der Uhr. Nach 36.Qg4 hängt die schwarze Dame implizit – ein Damenzug wird erbeten. Florian findet dabei mit 36…Qa1+ eine der stärksten Alternativen. Mit 38…Rg1+ wäre die Stellung endgültig gewonnen.
Florian muss jedoch in Zeitnot zumindest seine Vorteile bis über Zug 40 hinaus konservieren. Die nach Zug 43.Qxg7 erwachsende Stellung ist nicht unkritisch. Der Bauer auf f7 droht gegen weiße Dame/Springer mit Schach zu fallen – ein weißer Springer-Zug würde ferner die Diagonale für den Läufereinsatz freigeben und der weiße Turm kann dann auch noch in den Angriff geworfen werden. Nur der Gegenangriff mit 43…Ne1+! (vgl. Diagramm rechts) Würde den klaren Sieg von Florian konservieren. Da Florian ca. 20min intensiv rechnet, überlegt auch der Chronist, wie er die Stellung voranspielen würde und kommt zur Conklusio, dass 43…e5 vorübergehend alle Probleme lösen sollte. Das intuitive und schlussendlich von Florian abgespielte 43…Qf5 lässt einen vielfältigen Angiff auf den schwarzen Monarchen zu und wird vom kiebitzenden Chronisten mit Sorge betrachtet. Der schwarze Vorteil sinkt in diesem Moment von zwischenzeitlich -11.0 auf ca. -2.0. Eine Remise ist für Spiesberger wieder in Reichweite. 
Bei Zug 44 hat nun Weiß unterschiedliche Angriffspläne, z.B. Erobern der Dame mit 43.Rxe6+  Qxe6 44.Nxf6 was wegen 44…Rxd2+! scheitert. Schwierig zu verteidigen ist nun 44.Nxe6! Kd7 45.Nxd8 Bxd8 46.Qf8 nahe am Ausgleich, wo von Schwarz 46...Kc8 gefunden werden müsste!!! (vgl. Diagramm rechts nach alternativem Zug 48). Ebenfalls möglich 44.Nxf7 mit Abzugsdrohung und möglichem Läuferschach. Dies wird auch abgespielt, es folgt 44…Qxf7, 45.Bg5+ Ke8.

Ein Damentausch von Weiß würde eventuell in Richtung Remise abwickeln (vgl. alternatives Diagramm links vor Zug 50), z.B. mit 46.Qxf7+ Kxf7 47.Bxd8 Ne1+ 48.Rxe1 Rb2+ 49.Kh3 Bxd8. Das möglich gewesene Endspiel mit K + R + 4P gegen K + R + B + 2P hätte Spiesberger möglicherweise bessere Remis-Chancen eingeräumt. Die jedoch ab 46.Qh8+ abgespielte Variante erlaubte Florians Monarchen die Flucht in ein gewonnenes schwarzes Endspiel mit K + 2P gegen K + R. Eine sehr dramatische Partie die wieder mal zeigte, dass selbst mit signifikantem Materialverlust bei vorliegendem Königsangriff noch einiges an Ideen am Brette möglich sein können.

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